Von Nerjungri nach Richard Sorge: ein Deutscher mit russischer Seele

„Ich habe deutsche Wurzeln, daher auch der deutsche Nachname, auf Russisch heiße ich aber „Gerr“. Ich wurde in Chakasien geboren, dahin wurden meine Vorfahren zu Stalinzeiten verbannt. Meine beiden Opas haben sie 1937 erschossen – nur aufgrund der deutschen Nachnamen. Ich wurde als Kind auch immer als Deutscher beschimpft – aber ich hatte zwei große Brüder, die jedem eine übergezogen haben, der mir krumm kam. Mein Vater, Jahrgang 1930, hat die Schaufel rausgeholt, wenn jemand ihn einen Faschisten geschimpft hat.
Ich bin in den 80ern hier an den Baikalsee gekommen, um an der Baikal-Amur-Magistrale (BAM) zu arbeiten. Vorher war ich im Krieg in Afghanistan, hab da ein paar Finger gelassen. Aber daran will ich mich lieber nicht erinnern.“

"Wer saufen will, säuft. Aber wer hier arbeiten will, der findet auch Arbeit." Alexander Herr

„Vor ein paar Jahren hab ich mir ein eigenes Haus in Nischnij Angarsk gekauft, das ist eine Siedlung mit ungefähr 5000 Menschen. Ich bin jetzt Fahrer hier an der Bahnstrecke, ich bringe die Arbeiter zur Baustelle. Komme gerade zurück von der Arbeit. 20 Tage habe ich gearbeitet, jetzt 10 Tage Pause. Das ist gut bezahlt: Netto bekomme ich 80.000 Rubel (1100 Euro). In zwei Jahren müsste ich eigentlich in Rente gehen, aber ich werde wohl weiter arbeiten. Das machen in Russland ja fast alle Rentner.
Wer saufen will, säuft. Aber wer hier arbeiten will, der findet auch Arbeit. Gerade wird hier die Bahnstrecke an der BAM ausgebaut, weil die transsibirische Strecke völlig überlastet ist.
Mein Cousin und meine Schwester sind in den 90ern nach Deutschland ausgewandert. Aber ich bleibe hier: In der Seele bin ich halt doch ein Russe.“

„Wenn meine Verwandten zu mir zu Besuch kommen, genießen sie das Leben hier. „Ach, der Strand am Baikalsee ist ja noch weißer als in Frankreich“, sagen sie. Aber ihnen geht es gut da in Deutschland. Hier, schau, sie schicken mir Bilder von ihrem neuen Volkswagen. Und sie wollen immer, dass ich sie mal besuchen komme. Aber ich hab Angst – da ist doch alles so zivilisiert. Und ich lauf am liebsten mit meinen zwei Gewehren durch die Gegend.
Aber weil ich für die russische Bahn arbeite, bekomme ich nächstes Jahr ein Ticket umsonst bis zur russischen Grenze – für die ganze Familie. Dann werden wir wohl doch mal vorbeischauen bei euch in Deutschland.
Meinen beiden Töchtern bringe ich schießen und angeln bei, sie gehen auch schon mit mir auf die Jagd. Aber sie sollen später in Deutschland leben. Was sollen sie hier am Baikalsee? Ja, mir gefällt es hier, aber sie sollen mal in die Zivilisation.“

Das Video, das uns Alexander auf seinem Handy zeigt, wollen wir euch nicht vorenthalten: Fischeier des Omul, zu deutsch "arktische Maräne" - eine Delikatesse, die die Menschen am Baikalsee eimerweise essen. Hier im Bild Alexander Herr und seine beiden Töchter.
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